„Das kann so nicht weitergehen!“ – zu dieser Erkenntnis kamen meine Frau und ich vor nicht einmal einem Jahr, nachdem wir die ersten Monate im Homeschooling über-, pardon, durchgestanden hatten. Eine Erkenntnis, die uns so sehr beschäftigte, dass wir kurze Zeit später gemeinsam mit unseren Partnern ein Startup im digitalen Bildungsbereich gründeten. Zu verstehen war dieser Schritt auch als Ausdruck folgender Überzeugung: Zeit haben wir keine zu verlieren. Wir brauchen Lösungen, Konzepte, Visionen für die Bildungszukunft unserer Kinder. Von letzteren habe ich fünf, die ich gerne mit Ihnen teile. Überschaubar und – viel wichtiger – machbar.
1. Den Lehrplan neu denken
Werden unsere Kinder mit den Lehrinhalten der Schule wirklich aufs Leben vorbereitet? Ich sage: nein. Und das nicht zuletzt deswegen, weil ich selbst nicht das Gefühl habe, dass mich die Schule aufs Leben vorbereitet hat. Was ich heute als Unternehmer im digitalen Zeitalter brauche, habe ich erst nach der Schule gelernt – weil ich es wollte, weil es mich interessiert hat, weil es meinen Fähigkeiten entspricht. Ich bin mir sicher: All diese Kompetenzen hätte ich früher und noch besser erlangen können, wenn es das Schulsystem zugelassen hätte. Oder der Lehrplan.
Das bringt mich zu der Frage: Wieso haben unsere Kinder erst so spät die Möglichkeit, überhaupt Schulinhalte nach ihren entdeckten Kompetenzen zu wählen? Und warum wird ihnen dann, wenn sie die Möglichkeit dazu haben, das nur in einem kleinen Rahmen gewährt? Ein zukunftsfähiges System muss Individualität früher zulassen. Denn es kann nur so dem Willen der Schüler, ihren Interessen, ihren Fähigkeiten entsprechen. Und fürs Protokoll: ein paar Projektwochen, oder die Wahl zwischen naturwissenschaftlichem oder sprachlichem Zweig sind nicht das, was ich unter einem „neuentdeckten“ Lehrplan verstehe.
2. Digitale Lerninhalte zugänglich machen – für alle
Ich bin grundsätzlich digitalaffin – ganz offensichtlich. Praktischerweise bin ich damit nicht allein: Digitales Arbeiten ist nicht mehr nur die Zukunft, es ist die Gegenwart. Das zeigt sich in den Schulen zwar nicht bei der Lehre, wohl aber beim Umgang der Schülerinnen und Schüler mit digitalen Medien. Nur die wenigsten lösen komplexe Gleichungen in Mathe mit einer ähnlichen Passion, wie sie sich komplexen Battles in „Fortnite“ stellen.
Digitales Lernen scheitert aber nicht nur an der Lehre, sondern auch am Zugang. Zum guten alten Schulbuch ist der Zugang seit jeher gewährleistet. Und der Zugang zu digitalen Lerninhalten? Ist de facto nicht gegeben oder völlig überbürokratisiert. Mein Vorschlag: Richten wir eine Cloud ein, in der sämtliche Lehrmaterialien gebündelt werden und auf die alle – in manchen Bereichen nur Lehrkräfte, in anderen eben auch Schüler – Zugriff haben. Klingt visionär, aber nicht unmöglich. Wenn wir diesen Moment nicht dazu nutzen, eine digitale Infrastruktur aufzubauen, wann sollen wir’s denn dann angehen?
3. Bildung zentralisieren
Und wenn wir sie dann schon haben, die Cloud (siehe Punkt 2), dann können wir gleich das nächste Streitthema lösen – und den Bildungsföderalismus endgültig abschaffen. Warum ich dafür bin? Ganz einfach: weil Bildung nicht Länder-, sondern Bundessache sein muss. Ganz so, wie es der Straßenbau und das Gesundheitswesen übrigens schon sind.
Öffentlich diskutiert wird diese Option bereits seit dem Corona-Chaos in Bezug auf Wechsel-, Präsenz-, Inzidenz- und Quarantäneregeln. Als Bildungsminister würde ich genau diese Diskussion beenden und stattdessen Taten folgen lassen. Und das vor allem aus einem Grund: Bildung ist das relevanteste Allgemeingut der Deutschen – und muss schon deswegen vom Staat geregelt werden. Für die Zukunft unserer Kinder, für neue Möglichkeiten auf Bildungsteilhabe, für Chancengleichheit.
4. Noten entmachten
Sicher, dieser Punkt könnte einigen zu weit gehen. Aber lassen Sie mich folgende Frage in den Raum werfen: Ist es eigentlich noch zeitgemäß, dass in unserem Bildungssystem der Notendurchschnitt das Maß aller Dinge ist? Sagen Schulnoten denn wirklich etwas darüber aus, dass oder ob unsere Kinder gut aufs Leben vorbereitet sind? Ich sage: nein.
Beispiele, die zeigen, dass Noten nichts über Erfolg aussagen müssen, gibt es übrigens genug: Der beste Arzt ist bekanntlich nicht der, der im Studium mal den besten Notendurchschnitt hatte. Und auch Günther Jauch hat es mit seinem 3,1er-Abitur zu etwas gebracht. Was mir das sagt? Dass das aktuelle System Schule Noten viel zu sehr in den Vordergrund rückt und dass das wiederum völlig an der gesellschaftlichen Lebensrealität vorbeigeht. Und, liebe Eltern, abschließend zu dieser Vision erlauben Sie mir doch bitte folgende Frage: Wann wurden Sie zuletzt im Job nach Ihren Schulnoten gefragt?
5. Digitales Lernen als Chance betrachten
Ich muss noch einmal auf Digitales eingehen. Fakt ist: Digitales wird im System Schule als „Feind“ wahrgenommen. Wieso fällt es dem Bildungssystem so schwer, optimistisch mit den Möglichkeiten umzugehen? Ja, Corona hat die Baustellen und damit die noch ausstehende Arbeit offenbart – vom dezentralen Schulsystem bis hin zum Umgang mit Apps, stabilem Netzausbau oder der Laptop-Ausstattung an Schulen. Und ja, es ist an uns, sie zu schließen. Aber fabelhaft an all diesen Aufgaben ist doch, dass es im digitalen Zeitalter nichts gibt, was nicht möglich ist. Zumindest fast nichts.
Beispiel: Bildungsexpertin Verena Pausder entwirft in ihrem Buch „Das Neue Land: Wie es jetzt weitergeht!“ die Idee von Systemadministratoren, die den kompetenten Umgang mit digitalen Lehrmitteln im Blick haben. Das klingt nicht nur visionär, sondern wäre auch ein ganz neues Berufsbild. Kurzum: Ein bisschen mehr Startup-Mentalität würde dem Bildungssystem guttun. Glauben Sie mir, ich spreche da aus Erfahrung …
Fredrik Harkort ist Gründer der Nachhilfe- und Mentoring-Plattform cleverly (www.cleverly.de)und Vater von zwei Töchtern