Müssen wir noch Rechtschreibung lernen?

Im digitalen Zeitalter noch Rechtschreibung lernen?
Das übernimmt doch jetzt der Computer. Oder etwa nicht? Lesen und Schreiben zählen auch weiterhin zu den unersetzlichen Bausteinen einer modernen Allgemeinbildung, und der an der Universität Münster entstandene Lernserver hilft bei ihrer Vermittlung.

Das von dem Medienpädagogen Professor Dr. Friedrich Schönweiss gegründete Bildungsprojekt www.lernserver.de läuft seit vielen Jahren erfolgreich und hat während der Pandemie neue Aktualität gewonnen.

Der Lernserver bietet individuelle Förderung, die weit über schulische Angebote hinausgeht. Nicht als Konkurrenz, sondern als ergänzende Kompetenz: Die maßgeschneiderten Angebote von Fehleranalysen – auch als Test per App – und Diagnosen samt den daraus abgeleiteten Förder- und Fordercurricula stehen allen offen: Eltern können sie ebenso in Anspruch nehmen wie Lehr- und Förderkräfte sowie ganze Schulen. Unterstützt werden Kinder und Jugendliche aller Klassenstufen, nach Abschluss des Alphabetisierungsprozesses bis hin zum Abitur, ob mit größeren oder kleineren Schwierigkeiten. 

Große Nachfrage

Und die Nachfrage ist hoch: Fast 700.000 Kinder und Jugendliche wurden mittlerweile diagnostiziert. Mehr als die Hälfte benötigte Unterstützung und erhielt dank der passgenau zugeschnittenen Lernserver-Fördermaterialien nachhaltige Hilfe. Einige der Angebote im Rahmen der „Schule zuhause“ sind frei zugänglich, andere kostenpflichtig. Weitere Angaben und Informationen sind auf der Plattform selbst zu finden oder über direkte Anfragen zu erhalten. Wie aber wirkt sich die Pandemie auf den Lernserver aus?

Drei Fragen an Professor Friedrich Schönweiss

Das Bildungssystem steht in postpandemischen Zeiten unter Reformierungsdruck. Welche Relevanz hat der Lernserver in dieser Situation?

Schönweiss: Gleich zu Beginn der Pandemie haben wir unsere Möglichkeiten erwogen, die sich abzeichnenden Probleme abzufedern – und gefordert, nicht am starren Unterrichten nach Lehrplan festzuhalten. In einer derart historischen Situation lässt sich Normalunterricht nicht durch „Homeschooling“ und YouTube-Filmchen ersetzen. Das sehen wir an den vielen Kindern, die massive Lernrückstände haben oder die Sinnhaftigkeit ihrer Anstrengungen hinterfragen. Eine sofortige Konzentration auf das Wesentliche, also die Grundkompetenzen, hätte allen und besonders den Kindern mit bestehenden Defiziten in diesem Bereich gutgetan. Mittlerweile scheinen dies alle Bundesländer und auch die Bundesbildungsministerin eingesehen zu haben, und es freut mich, diese Programme landauf, landab zu unterfüttern. Ganz grundsätzlich hilft ja der Lernserver allen Beteiligten bei der Unterstützung der Kinder im Kernfach Deutsch. Das Übungsmaterial ist hochindividuell an das Kind angepasst und ermöglicht, Rückstände bei der Rechtschreibung und beim Lesen effektiv und nachhaltig aufzuarbeiten oder sie gar nicht erst entstehen zu lassen. Maßstab ist dabei, die Freude am Lernen zu erhalten oder sie wiederzufinden zu helfen. 

Wie sollen Lehrkräfte das leisten? Ist die individuelle Förderung nicht eine zusätzliche Belastung? 

Natürlich sind die Kinder wie die Großen an der Belastungsgrenze. Ermutigend ist aber, dass die Lehrkräfte ihre verbleibende Energie im Interesse der Kinder nutzen und neue Wege gehen wollen. Wir haben hier viel vorgearbeitet und unsere Inhalte so fortentwickelt, dass damit für den gesamten Bereich der Rechtschreibung alle möglichen Unterrichts- und Förderszenarien abgedeckt werden können. Die einzelnen Module des Lernservers haben schon immer darauf abgezielt, die Lehrkräfte zu entlasten. Insbesondere die zeitsparende und hochdifferenzierte Diagnose bildet die Basis für passgenaue Curricula für die einzelnen Schüler, deren Anwendung dank der didaktischen Begleitinformationen zu jedem Lernschritt auch durch externe Förderkräfte vollzogen werden kann. Die individuelle Förderung ist hier also keine Zusatzbelastung, sondern eine Entlastung für Kinder wie Lehrkräfte, mit der die Rückbesinnung auf die Grundlagen substantiell unterfüttert wird. Damit lassen sich Rückstände ohne Frust aufholen und die heterogenen Bedarfe der Kinder bewältigen. Es zeichnet sich ab, dass derartige Lernkonzepte künftig Normalität an den Schulen werden. 

Wie sehen Sie die Zukunft für den Lernserver gerade in Bezug auf die pandemiebedingten Probleme von Menschen mit Lese- und Rechtschreibschwäche? 

Rechtschreibung und die rasche Erfassung von Texten gehören zu den Grundlagen gesellschaftlicher, sozialer und kultureller Teilhabe. Die seit einigen Jahren zu verzeichnende Erosion dieser Basiskompetenzen hat sich durch die Pandemie-Bedingungen massiv beschleunigt. Viele Kinder, aber auch Erwachsene könnten hier auf der Strecke bleiben. Wir bauen deshalb unser Angebot mit großem Einsatz aller Beteiligten weiter aus, ob digital, analog oder interaktiv, ob individuell, für den Regelunterricht oder bei Fortbildungsprogrammen. Es geht uns um das konstruktive Zusammenspiel von Schule, Eltern und Förderkräften, damit keiner auf der Strecke bleibt und unsere Gesellschaft damit gleichzeitig jene Bildungsbasis erhält, die sie braucht, erst recht in unseren digitalen Sturm-und-Drang-Zeiten.