Zukunft der Schule: Die Bundesbildungsministerin im Interview

Unser Chefredakter Christian Personn traf Bildungsministerin Bettina Stark-Watzinger zum Interview. Sie sprachen über Lernrückstände durch Corona, Chancengerechtigkeit in der Bildung, Digitalisierung und vieles mehr.

Bettina Stark-Watzinger spricht über geplante Maßnahmen im Bereich Bildung. Foto: BMBF/Hans-Joachim Rickel

Schule in Corona-Zeiten

Schule: Wie wollen Sie als Bund die coronabedingten Lernrückstände auffangen? Werden z. B. Prüfungsanforderungen beim Abitur zentral gelockert?

Bettina Stark-Watzinger: Derzeit geht es vor allem darum, alles dafür zu tun, dass Schülerinnen und Schüler den gewohnten Präsenzunterricht in den Schulen haben. Die Kinder und Jugendlichen mussten durch die Pandemie schon enorme Belastungen erfahren. Aber der Bund unterstützt mit allem, was notwendig ist, um offene Schulen zu ermöglichen. Beispielsweise hat der Bund Förderprogramme für stationäre und mobile Luftfilter aufgelegt. Das Programm für mobile Luftfilter wurde im Dezember noch einmal verlängert. 

Was die coronabedingten Lernrückstände angeht, hat der Bund im letzten Sommer ein „Aktionsprogramm Aufholen nach Corona für Kinder und Jugendliche“ für die Jahre 2021 und 2022 mit einem Gesamtumfang von zwei Milliarden Euro gestartet. Dabei geht es um den Abbau von Lernrückständen, die Förderung frühkindlicher Bildung, außerschulische Aktivitäten sowie um die Begleitung von Kindern und Jugendlichen im Alltag und in der Schule. Für die Umsetzung sind überwiegend die Länder verantwortlich. Ende März legen diese einen Zwischenbericht unter anderem über die Umsetzung der Maßnahmen zum Abbau von Lernrückständen vor. 

Nach meiner festen Überzeugung muss es unser aller Ziel sein, dass Kinder und Jugendliche die bestmögliche Bildung erhalten, damit sie ihre Zukunft erfolgreich gestalten können. Sie dürfen durch die Pandemie keine weiteren Nachteile erleiden. Deshalb müssen die Abschlüsse in den Jahren der Pandemie gleichwertig mit den Abschlüssen vor oder nach der Pandemie sein. Allerdings sind auch dafür die Länder verantwortlich. Es ist gut, dass die Kultusministerinnen und Kultusminister beschlossen haben, dass die 2021 und 2022 erworbenen Abschlüsse früheren und späteren gegenüber gleichwertig sind. Wichtig ist in dieser Ausnahmesituation, dass die Schülerinnen und Schüler faire Rahmenbedingungen für ihre Abschlussprüfungen erhalten. Dafür hat die Kultusministerkonferenz in ihren Beschlüssen eine Reihe möglicher Maßnahmen aufgeführt, die die Länder ergreifen können, ohne das Anspruchsniveau zu senken. Das alles ist eine Frage der Chancengerechtigkeit. 

Digitalisierung der Schulen: Digitalpakt 2.0

Was planen Sie, um die Digitalisierung zu vereinheitlichen? Wird es einen neuen Digitalpakt für Schulen zur Modernisierung und Verbesserung der virtuellen Lernvermittlung geben?

Der Digitalpakt hat der Digitalisierung unserer Schulen einen ersten Schub gegeben, aber die Gelder müssen auch vollumfänglich in den Schulen ankommen. Als Bundesbildungsministerin möchte ich den Digitalpakt beschleunigen und entbürokratisieren. Dafür werden sich Bund, Länder und Kommunen an einen Tisch setzen. Außerdem haben wir im Koalitionsvertrag einen Digitalpakt 2.0 für Schulen mit einer Laufzeit bis 2030 vereinbart. Damit erhalten die Länder und Schulträger mehr Planungssicherheit. Über die konkrete Ausgestaltung werden wir mit den Ländern sprechen.

Bei der Digitalisierung der Schulen geht es auch darum, möglichst einheitliche Standards zu setzen und das Zusammenspiel der Systeme zu gewährleisten. Ansonsten muss die digitale Ausstattung natürlich zuallererst dem geplanten pädagogischen Ansatz entsprechen. Kurz gesagt: Eine berufliche Schule benötigt eine andere Ausstattung als beispielsweise eine Grundschule und die wiederum eine andere als eine weiterführende Schule. Deshalb enthält die Verwaltungsvereinbarung zum laufenden Digitalpakt auch einen ganzen Katalog an möglichen Fördergegenständen. Dabei liegt der Schwerpunkt für den Einsatz digitaler Werkzeuge und Medien ganz klar auf der Pädagogik.

Um die Potenziale der Digitalisierung voll auszuschöpfen, geht es nicht nur darum, einheitliche Standards zu setzen. Sondern auch um den Austausch der Akteure aus allen Bildungsbereichen, sodass entlang der gesamten Bildungskette von der frühkindlichen Bildung bis zum Schulabschluss Synergien und Lösungsansätze identifiziert und genutzt werden können.

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Chancengerechtigkeit in der Bildung

Wie sieht das angekündigte „Startchancen-Programm“ für Bildungs- und Chancengerechtigkeit aus, mit dem besonders sozial benachteiligte Schülerinnen und Schüler gestärkt werden sollen? Was genau soll für rund ein Viertel der Schulen als „schulische Sozialarbeit“ finanziert werden? Schließt das Fortbildung und Qualifizierung von Lehrkräften ein?

Das „Startchancen-Programm“ ist ein Flaggschiff unserer neuen bildungspolitischen Maßnahmen. Es hat zum Ziel, denjenigen Schülerinnen und Schülern zusätzliche Unterstützung zu geben, die sie besonders brauchen. Mir liegt am Herzen, dass wir Bildungschancen unabhängiger von der sozialen Herkunft machen. Das Programm soll im Kern aus drei Säulen bestehen: Zum einen aus einem Investitionsprogramm des Bundesbildungsministeriums für mehr als 4.000 allgemein- und berufsbildende Schulen mit einem hohen Anteil sozial benachteiligter Schülerinnen und Schüler. Diese Schulen sollen dadurch modern und barrierefrei werden. Auch hier gilt, dass eine berufsbildende Schule andere Anforderungen hat als eine Grund- oder weiterführende Schule.

Die zweite Säule des Programms ist das sogenannte „Chancenbudget“. Damit soll den teilnehmenden Schulen ein zusätzliches Budget zur Verfügung gestellt werden, um Schule, Unterricht und Lernangebote weiterzuentwickeln und außerschulische Kooperation zu fördern. Auch dieses wird der Bund finanzieren. Die Zuständigkeit für die Umsetzung liegt bei den Ländern.

Die dritte Säule betrifft den Ausbau der Schulsozialarbeit. Hierfür ist das Bundesministerium für Familie, Senioren, Frauen und Jugend zuständig, mit dem wir uns bei der Ausgestaltung des Gesamtprogramms eng abstimmen werden. 

Integration und Inklusion an Schulen

Was planen Sie an Initiativen in Sachen Inklusion und Integration von Kindern aus Migrationsfamilien in Schulen?

Es muss unser gemeinsames Ziel sein, Bildungschancen für alle zu ermöglichen. Jedes Kind, das in unserem Land lebt, muss die Chance haben, einen Schulabschluss zu machen und anschließend eine Berufsausbildung oder ein Studium zu absolvieren. Das geplante „Startchancen-Programm“ wird hierfür einen wichtigen Beitrag leisten.

Darüber hinaus wird das Bundesbildungsministerium im Rahmen seiner Möglichkeiten Länder und Kommunen weiterhin bei der Bewältigung gesellschaftlicher Herausforderungen und der Integration durch Bildung unterstützen. Im Fokus stehen dabei wissenschaftsbasierte Erkenntnisse über Erfolgsbedingungen und Hemmnisse von erfolgreicher Inklusion und Integration. Ein Aspekt dabei ist auch, die Prävention und Bekämpfung von Rechtsextremismus und Rassismus.

Darüber hinaus werden wir das Dialogforum „Integration durch Bildung“ fortführen, in der empirischen Bildungsforschung einen Schwerpunkt auf „Integration im Bildungssystem“ setzen und Forschungsprojekte fördern, die sich mit förderbezogener Diagnostik in der inklusiven Bildung befassen. Wichtig ist, dass die wissenschaftlichen Erkenntnisse in die Bildungspraxis übertragen werden.

Die Schule der Zukunft

Wie sieht für Sie die Schule der Zukunft aus? 

Die Kernaufgabe von Schule ist auch in Zukunft, Wissen und Bildung bestmöglich zu vermitteln. Denn beste Bildung ist der Schlüssel für ein selbstbestimmtes Leben. Der Unterricht der Zukunft sieht für mich anders als heute aus: mehr flexible Lerngruppen, mehr Einsatz digitaler Medien und Werkzeuge. Das ist wichtig, damit die Schülerinnen und Schüler nach ihrem individuellen Bedarf gefördert werden können. Digitale Lernprogramme etwa stellen sich entsprechend darauf ein, geben unmittelbar Rückmeldung an die Lernenden und natürlich auch an die Lehrenden.

Die Schule der Zukunft wird ein größeres Angebot für ganztägige Bildung und Betreuung bieten. Insgesamt werden die Lernarrangements vielfältiger und flexibler. Das hat auch Auswirkungen auf Architektur und Raumgestaltung. Natürlich wird es weiterhin klar strukturierte Unterrichtsräume geben, jedoch aber auch mehr Möglichkeiten, in anderen Formaten zu lernen oder Projekte zu bearbeiten. Auch in Zukunft ist die individuelle Förderung aller Schülerinnen und Schüler wichtig. Alle sollten entsprechend ihrer Potenziale und Möglichkeiten gefördert werden.

Die Schule der Zukunft wird selbständiger sein. Wir wissen heute, dass mehr Entscheidungsfreiheit ein mehr an Bildung ist. Ich möchte erreichen, dass der Bildungserfolg in unserem Land nicht mehr so stark von der sozialen Herkunft abhängt. 

Autor: Christian Personn