Wieso Tagebuch schreiben so gut für Kinder ist

Das gute alte Tagebuch ist aus der Mode gekommen. Schade! Denn das Niederschreiben der eigenen Gedanken und Gefühle trainiert nicht nicht nur die Handschrift – es ist auch richtig gut für die kindliche Seele.

Foto: Getty Images/ EMS-Forster Productions

Unsere Expertin

Corinna Bäck

ist seit 1989 Geschäftsführerin der Akademie Bäck. Als Kommunikationstrainerin, Coach, Moderatorin und Rednerin ist sie im In- und Ausland tätig.

Beim Tagebuch schreiben werden Emotionen benannt

Bella beschreibt genau den Effekt, den viele Experten als den positivsten des Tagebuchschreibens sehen: „Gerade als junger Mensch können Gefühle heftig bewegen“, weiß Kommunikationstrainerin Corinna Bäck. „Erst durch die ‚Betitelung‘, die durch das Aufschreiben notwendig wird, werden diese klarer und können besser verarbeitet werden.“ Dabei muss es nicht immer um Tod und Verlust gehen: „Ob Liebes-Tohuwabohu, Probleme mit Mitschülern, Eltern oder Lehrern: Alles passt ins Tagebuch und wird mit den eigenen Worten zusammengefasst“, erklärt die zweifache Mutter.

Aber warum genau können wir uns so viel besser mit unseren Gefühlen auseinandersetzen, wenn wir sie erst einmal ganz altmodisch zu Papier gebracht haben? Reicht es nicht, eine Word-Datei zu öffnen und draufloszutippen? Nicht ganz, erklärt die Expertin: „Grundsätzlich ist das Erfassen der persönlichen Gedanken und Gefühle eine Verankerung und Bewusstmachung. Im Gehirn verknüpfen sich jedoch beide Gehirnhälften durch das Schwingen der Handschrift wesentlich besser als beim Tippen am Computer – das ist wissenschaftlich bewiesen.“ Deswegen, so Corinna Bäck, sei das handschriftliche Mitschreiben wichtiger Informationen im Schulunterricht auch so sinnvoll für den Lern- und Merk-Effekt. 

Mit einem Glückstagebuch den Anfang wagen

Während Füller und Kugelschreiber für die Schule noch regelmäßig genutzt werden, bleiben sie außerhalb der Hausaufgaben jedoch meist liegen: Geschichten wie die von Bella werden immer seltener, das Tagebuch ist out. Dabei ist die Idee dahinter aktueller denn je: „Im Zeitalter der Digitalisierung werden starke Emotionen und Ängste angefacht. Schriftlich strukturiert lassen sie sich viel leichter erfassen und klären“, weiß Corinna Bäck. Ihren Seminarteilnehmern und Coachees, darunter auch Schüler und Schülerinnen, legt die Kommunikationstrainerin deshalb die Nutzung eines Glücks- oder Erfolgstagebuchs nahe: „Ich empfehle, sich jeden Tag Zeit zu nehmen, die folgenden Fragen schriftlich zu beantworten: ‚Was hat mich heute erfreut oder glücklich gemacht? Worauf bin ich heute stolz, wo hatte ich mein Erfolgserlebnis?‘ Dabei geht es nicht um große Erfolge. Die Freude kann zum Beispiel auch beim Beobachten eines Vogels auf der Terrasse entstanden sein.“

Ist das nicht ein gewöhnungsbedürftiges Ritual? „Auf jeden Fall“, räumt Corinna Bäck ein. „Aber mit etwas Übung fällt das Niederschreiben immer leichter. Und ich freue mich stets über die positiven Reaktionen beim nächsten Austausch: Die Teilnehmer und Teilnehmerinnen, die dabeigeblieben sind, haben ihr Selbstwertgefühl deutlich gestärkt und sind achtsamer und selbstbewusster mit sich selbst umgegangen. Der tägliche Blick auf das Wesentliche, was abends in das wertvolle Büchlein gehört, lässt Zeit anders erscheinen, und man kann viel bewusster den Tag Revue passieren lassen.“

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Sind Instagram und TikTok moderne Tagebücher?

Schöne Erlebnisse und Dinge, auf die man stolz ist, in den Fokus stellen – genau das ist doch auch die Idee von Social-Media-Plattformen. Abgesehen vom fehlenden positiven Effekt des handschriftlichen Niederschreibens: Sind Instagram und TikTok dann nicht so etwas wie moderne Glückstagebücher – nur eben in Bild- oder Videoform? Nein, sagt die Expertin: „Der große Unterschied zum Tagebuch besteht im Fokus auf die Außenwirkung. Es geht im Tagebuch um Selbsterkenntnisse, eine bessere ‚Innenwirkung‘ des Erlebten. Was hat es mit mir gemacht? Wie stehe ich wirklich zum Erlebten und zu mir? Diese Fragen gilt es so zu beantworten, dass niemand anders sie bewertet.“ Ein Anspruch, der in den öffentlichen Medien schlicht unmöglich ist. „Auch deshalb haben Tagebücher häufig ein Schloss: Die eigenen Gefühle gehen niemand anders etwas an. Es sei denn, ich schenke jemandem mein Vertrauen und erlaube den Blick auf diese Zeilen.“

Schreiben als Therapieform

Oder sie bleiben einfach ein Geheimnis des Autors. So wie die Zeilen, die Bella vor mehr als zehn Jahren schrieb und an die sie sich noch heute gern erinnert: „In meinem Tagebuch sind teilweise auch Briefe an meinen Opa gewesen, weil ich ihm noch einiges sagen wollte“, erzählt die 26-Jährige. Gelesen wurden sie nie. Doch darum geht es auch nicht beim Tagebuchschreiben. Das Wesentliche ist: Sie wurden geschrieben. Und das hat einem jungen Mädchen sehr geholfen.

Portrait Silke Schröckert
Silke Schröckert

Unsere Autorin

Silke Schröckert

Silke Schröckert wollte Journalistin werden, seit sie im Alter von acht Jahren das erste Mal Lois Lane in „Superman“ gesehen hatte. Mit 23 wurde sie Chefredakteurin eines Kinderzeitschriftenverlages.

Heute ist Silke spezialisiert auf Familienthemen und textet für Kinder- und Comic-Magazine. Das freut vor allem Sohn Tom und Tochter Mina. Auf ihrer eigenen Seite schreibt sie für die Generation Großeltern. Bei leben-und-erziehen.de nimmt sie sich aktuellen Themen aus Sicht einer Zweifach-Mama an.