Ein Interview mit Auma Obama: Was wir von Afrika lernen können

Sie trägt einen bekannten Namen – und hat der Welt ähnlich viel zu sagen wie ihr Bruder Barack. Bildung liegt Auma Obama am Herzen – nicht nur weil sie Pädagogik studiert hat. Mit der Kolumnistin Lisa Ortgies haben wir die Kenianerin zum Gespräch in Hamburg getroffen. Es wurde ein spannender Dialog.

Foto: Auma Obama

Lisa Ortgies: Als direkt Betroffene mit zwei Kindern (14 und 18 Jahre alt) habe ich das deutsche Bildungssystem als rückwärtsgewandt, leblos und innovationsfeindlich kennengelernt. Ich erlebe meine Kinder als sehr leidenschaftliche Menschen, die sich engagieren möchten. Mein Sohn ist z. B. bei Fridays for Future engagiert. Beide interessieren sich für Politik und Geschichte, aber auch für Bewegung und Tanz – sie können aber nirgendwo damit in der Schule andocken. Ich finde es sehr traurig, dass beide ihre Schulzeit eher als „social bonding“, also als das Zusammensein mit Freunden empfinden, aber ansonsten kaum etwas fürs Leben daraus ziehen werden und mitnehmen – auch von der Begeiste­rung für LehrerInnen und das von ihnen vermittelte Wissen. 

Bewegung und Leidenschaft in der Schule

Ich weiß relativ wenig über Afrika und die Schulsysteme dort, aber wenn ich die Fotos Ihrer Stiftung Sauti Kuu ansehe, wird mir viel Bewegung und Leidenschaft bewusst. Da ist viel Freude zu sehen, und die Menschen wirken wie eine Art emotionale Vorbilder. Nichts davon ist meinen Kindern vermittelt worden. Das soll hier kein Bashing deutscher LehrerInnen sein, und ich habe auch einige Lehrkräfte erlebt, die sich wirklich reinhängen – nur sind die alle überanstrengt oder längst raus aus dem System. Was können wir davon in Deutschland übernehmen, vielleicht könnte emotionale Bildung – auch Herzensbildung genannt – wie ich sie da sehe, zu einem Leitfaden in deutschen Lehrplänen werden. 

Auma Obama: Die Idee der Kleinfamilie ist in Westeuropa und Nordamerika offensichtlich so weit vorangetrieben worden, dass sich die kleine Familie hier quasi als Insel sieht. Es passiert alles in der Familie, es wird alles – von der Schule bis zum Sportverein – im Rahmen der Kleinfamilie entschieden. Ich denke, die Eltern hier wollen nicht, dass sich irgendjemand in ihre Angelegenheit, eben in ihr Leben einmischt. Ich erinnere mich an viele Gespräche während des Studiums hier in Deutschland, in denen gerade junge Frauen – meine Kommilitoninnen – mir erzählten, dass sie auf keinen Fall ihr späteres Kind ihrer eigenen Mutter geben würden, um bei der Erziehung mitzuhelfen. Das fand ich schockierend, weil ich keinerlei Probleme damit hatte, meine Tochter meiner Mutter in die Obhut  zu geben. Da habe ich mich sehr gefreut, entlastet zu werden und die Verantwortung bei ihrer Erziehung mir ihr zu teilen. (Sie lacht anhaltend) Die Erweiterung von Familie findet eben nicht über Schule oder Kita statt, sondern es herrscht eine Situation der Isolation 

Emotionale und soziale Bindung

Ortgies: Deutschland ist ja sicherlich ein Kleinfamilienland, bei dem Erziehung in die Schule transferiert wird. Weil sie zu Hause einfach nicht mehr stattfinden kann. Ich erlebe überforderte Eltern, das ist ein Dauerthema. Der Leistungsdruck überträgt sich auf die Kinder– wenn z. B. die Eltern beide berufstätig sind, den ganzen Tag aushäusig sind. Stichworte für den Alltag in Problemvierteln sind Stress durch Existenzsorgen, fehlende Betreuung, schlechtes Gewissen. Wa­rum schafft Deutschland es nicht, dass sich die Gesamtgesellschaft mehr verantwortlich fühlt für Kinder und deren Bildung? Vielmehr werden ja hier Gruppen gegeneinander ausgespielt – so kinderlose gegen die mit Kindern. Sind wir nicht also eher ein Entwicklungsland in Sachen emotionaler und sozialer Bildung, und Afrika macht uns vor, wie es besser geht? 

Schule: Fehlt hier das Vertrauen in die Kraft einer Großfamilie?

Obama: Offensichtlich vertrauen junge Eltern nicht auf die Erfahrung und das Wissen ihrer Mütter und Großmütter. Die Idee von der Vorstellung, alles allein hinzubekommen, ist falsch. Denn junge Eltern brauchen andere, die helfen, und sie brauchen die Erfahrungen anderer Generationen, auch um zu lernen, was man besser nicht tut. Die Älteren haben ja auch Fehler gemacht, die wir nicht wieder machen müssen. Wir geben uns in afrikanischen Ländern die Chance, es anders zu machen, aus Erfahrungen zu lernen. Das können wir aber nur, wenn wir eben z. B. das Kind der Großmutter geben. Auch müssen die Eltern ja auch Verantwortung übernehmen für die Beziehung zur eigenen Mutter oder dem Vater – das sollte keine Einbahnstraße sein. Auch wir Eltern müssen an der Beziehung zur elterlichen Generation arbeiten. Kinder leiden darunter, wenn es Streit zwischen Eltern und Großeltern gibt, oder die Großeltern gar keine Rolle im alltäglichen Miteinander spielen. Das Vertrauen, dass eine Großfamilie die Erziehung gut meistern kann, scheint hier zu fehlen. 

Ortgies: Die Familie ist also der Kristallisationspunkt von allem?

Obama: In Europa treffen ganz oft allein die Eltern die Entscheidungen – sie entscheiden, was richtig für ihr Kind ist. Sie geben diese Verantwortung dann weiter an die Schule ab. Oma und Opa bleiben dabei meist außen vor. Und damit bleibt auch viel Liebe außen vor, denn die Großeltern bringen oft eine andere Art der Liebe in die Familie mit ein. Überhaupt ist Liebe ganz wesentlich. Liebe und Geborgenheit stärken das Selbstvertrauen und das Selbstbewusstsein. Die Kinder kriegen große Lust und haben den Mut, sich anderen zu beweisen oder vieles auszuprobieren. Die Oma ist ja viel mehr als nur ein Babysitter, sie ist Teil der Familie und steht, meist, für die bedingungslose Liebe, die für die Erziehung des Kindes wesentlich ist. 

Ortgies: Es wäre sicherlich auch hier ideal, wenn wir auf die Großeltern so viel wie möglich zurückgreifen können … Aber die Gegebenheiten sind halt andere, ökonomische Notwendigkeiten, Berufstätigkeit, die es erfordert, oft umzuziehen. 

Die Familie ist oft schlicht nicht in der Nähe. 

Obama: … Na ja, es gibt ja viele Möglichkeiten, Ersatz-Familien zu schaffen: in der Schule, der Nachbarschaft, im Sportverein. Aber hier in Deutschland wissen ja viele noch nicht einmal, wer nebenan wohnt. Und: Alles ist fixiert auf die Arbeit, den Job. Doch das Leben bietet doch so viel mehr als Arbeit. 

Wir in afrikanischen Ländern definieren uns immer eher über die Familie. Auch die gesellschaftliche Bestätigung läuft darüber. So werden wir auch benannt: Zum Beispiel zeichnet mich meine Rolle als Mutter, „Mama Akinyi“ aus. Und aus Respekt werde ich so genannt und angesprochen. Mich mit meinem Namen anzusprechen kann als Missachtung meines Stellenwertes und Respekt­losigkeit angesehen werden. 

Diese Anerkennung, die an die Familie, an die Herkunft angebunden ist, hat noch in den meisten Fällen einen höheren Stellenwert als der Beruf oder der Job. Auch wenn ich meine Arbeit verliere, bin ich, im Rahmen des Familienkonstrukts, trotzdem etwas wert. Das ist in Europa ganz anders. Die Kinder hier erleben den Druck, ihr Selbstwertgefühl außerhalb der Familie, in der Arbeit, zu realisieren. Sie müssen aus ihrem Leben etwas machen – beruflich. 

Allein das zählt. Andere soziale Verhaltensweisen, die ebenso wichtig sind für das Selbstwertgefühl, wie Familienhalt und soziales Verhalten, werden vernachlässigt.

Ortgies: Nun ist das sehr schwierig hierzulande, weil Großfamilien so wie dort nicht existieren. Und viele tun sich schwer, Kontakt mit Mitmenschen aus der Umgebung aufzunehmen. Also, es fängt ja schon an, jemand anderem in die Augen zu sehen. Das fällt vielen schwer.

Eine falsche Konzentration wird gelernt

Obama: Genau, hier sehen alle nur in ihr Handy rein. Schon Kleinkinder haben ja Handys oder Tablets in den Händen. Da wird eine völlig falsche Konzentration erlernt. Wir müssen doch immer nur Professor Google fragen oder Doktor YouTube – erlerntes Wissen brauchen gerade junge Leute gar nicht mehr. Studien belegen ja, dass Teile des Gehirns z. B. zur Entscheidungsfindung oder Orientierung nicht genutzt werden müssen. Bestimmte Lifeskills benutzen die nicht mehr. Eine ganze Generation ist davon betroffen, und die soll später die Verantwortung für unser aller Leben übernehmen. Das ist beängstigend. 

Schule: Also sollen wir die Geräte verbieten?

Obama: Ja, die müssen wir den jungen Leuten zumindest teilweise wegnehmen. Ich stehe dem konstanten Aufruf zu einer vermehrten Digitalisierung sehr kritisch gegenüber: Wir sind begeistert von der künstlichen Intelligenz, denken aber nicht daran, dass diese digitalen Geräte uns die Arbeitsstellen wegnehmen. Sie übernehmen das Denken für uns und machen unsere Gehirne quasi zu Matsch. Denn ganze Teile unseres Gehirns verlernen zu lernen, wie man mit der Welt ohne digitale Hilfe umgeht.

Ortgies: Das ist schon ambivalent. Es geht doch auch darum, wie wir digitale Angebote nutzen. Junge Leute können z. B. durch Social Media mit anderen ideal in Kontakt treten. Sicher führt die Handynutzung oft zu Vereinsamung oder Vereinzelung, aber es lässt sich nicht alles verteufeln. 

Digitalisierung, aber richtig

Obama: Es soll auch nicht alles verteufelt werden. Es ist aber wichtig zu erkennen, dass digitale Geräte mehr und mehr dem Umgang mit Menschen entgegensteht. Viele sind abhängig von digitalen Geräten. Die Abhängigkeit von Social Media zum Beispiel. Für viele dreht sich das Leben viel zu viel um ‚Clicks‘ oder wie viele ‚Likes‘ man bekommt. Es bestimmt das Glück – wobei viele depressiv werden in dieser Abhängigkeit. Ich nutze das Handy z. B. nur noch beruflich. Ich kann das Gerät zur Seite legen, weil es mit meinem wirklichen Leben nichts zu tun hat. Das heißt, es bestimmt nicht meinen Alltag. Ich bin der Meinung, dass die Gefahren dieser Abhängigkeit zu wenig thematisiert werden. 

Schule: Brauchen wir also mehr Medienerziehung, um den richtigen Umgang zu vermitteln?

Obama: Na ja, ehrlich gesagt wissen die junge Leute weitaus mehr, wie man mit digitalen Geräten umgeht, als wir. Wir Älteren müssen sie meistens fragen, wie alles funktioniert. Es braucht aber trotzdem, oder gerade deswegen, eine Medienerziehung der Kinder. Sie müssen eine gesunde Beziehung zu der digitalen Welt lernen. Zum Beispiel bei uns in der Stiftung – in Kenia auf dem Land also – müssen die jungen Leute erst mal lernen, wie sie mit dem Gebrauch von Computern umgehen. Sie müssen verstehen, dass ein Computer nur ein Werkzeug ist, das man intelligent und verantwortungsvoll benutzen kann, aber auch zu jeder Zeit ablegen kann. 

Ortgies: Aber so eine Verantwortung muss eben auch von der Politik mit getragen werden. Die Eltern allein können die Verantwortung nicht übernehmen, die sind automatisch damit überfordert. Wie würden Sie das denn regeln?

Handy-Nutzung reglementieren

Obama: Ich würde die Handy-Nutzung reglementieren. In der Schule müssten die Geräte morgens beim Kommen in einem großen Korb abgelegt werden. Es würden außerdem handyfreie Zone eingerichtet werden. Und zu Hause dürften die Kinder nur zu bestimmten Zeiten das Handy benutzen. 24 Stunden permanent online zu sein ginge sicherlich gar nicht. Das müsste man den Kindern erklären. Auch dass die vermeintlichen Freunde auf Social-Media-Kanälen in den meisten Fällen gar keine wirklichen Freunde seien. Wir könnten ja auch als Eltern Medienerziehung ganz praktisch mit den Kleinen durchführen: Indem wir zusammen auf Youtube Backanleitungen anschauen und danach ganz analog zeigen, wie Mama das früher gemacht hat. Eine frühzeitige Integration vom Digitalen und Analogen im Alltag würde einen Ausgleich schaffen und die Überbegeisterung für das Digitale und die Abhängigkeit davon mindern.

Auch Anbieter müssen Verantwortung übernehmen

Ortgies: Aber ich will als Mutter auch nicht dauernd digitale Räume mit den Kindern betreten. Da müssen die Anbieter, die Digitalkonzerne Verantwortung übernehmen. Denn die Kinder sollen ja auch eigene Welten haben, diese Form von Intimität ist ja auch wichtig. Kinder brauchen individuelle Räume für sich. Und dann kann man als Familie ja gemeinsame digitale Zeit verbringen.

Obama: Ich glaube, Eltern müssen diese Regeln festlegen und das digitale Familienleben organisieren. Aber daneben sollte das Zusammensein, das Gespräch miteinander stattfinden. Dann müssen wir beispielsweise besprechen, wie schnell Social Media einsam machen kann. Und wie es soziale Unterscheide verschärft. Wir haben in der Corona-Zeit in Kenia erlebt, wie Kinder vom Lande und aus armen Familien ausgegrenzt wurden. Denn die konnten sich nicht übers Internet bilden, mit LehrerInnen kommunizieren oder online zur Schule gehen. 

Schule: Sollten die Regierungen nicht Medienerziehung viel mehr fördern und einen Internet-Führerschein für Kinder vorschreiben?

Obama: Wir müssen vor allen Dingen erst mal dafür sorgen, dass die Kinder wieder lernen, alle ihre Sinne zu nutzen: anfassen, schmecken, hören, sehen, riechen. Das muss verstärkt gefördert werden, gerade in der Grundschule und der Kita, wo sie noch am kreativsten sind. 

Ortgies: Ja in den Kitas wird das ja noch gefördert. Aber schon in der Grundschule entwickelt sich das anders. Dann zählen irgendwann nur noch Noten, die Ziele werden von außerhalb gelenkt und bestimmt. 

„Falsche Freiheit“?

Obama: Das stimmt. Aber meine Beobachtung ist auch, dass Eltern viel zu viel in der Schule mitreden. LehrerInnen haben hierzulande keine wirkliche Autorität mehr. Strenge LehrerInnen werden natürlich nicht geliebt, aber die Kinder haben eben auch so wahnsinnig viel Freiheit in den Schulen, generell im Leben. Damit kommen viele offensichtlich nicht klar, und sie sind überfordert. 

Bei uns sind die Kinder eher artig und fügen sich den strengen Eltern und LehrerInnen. Viele lernen dann aus Angst, das ist auch nicht gut. In Europa aber sind die Kinder mit einer ‚falschen‘ Freiheit ausgestattet. Die Kinder bestimmen oft mit, und es fehlt ein Art Zwiegespräch – auch mit dem Lehrer oder der Lehrerin.

Schule: Also müsste es mehr ein Zusammenlernen geben? 

Lernen als gemeinsames Abenteuer

Obama: Ja, es muss akzeptiert werden, dass die LehrerInnen Wissen vermitteln und dieser Prozess eine Art Abenteuer sein kann. Wo alle Sinne genutzt werden. Oft aber stehen alle zu sehr unter Druck: Die LehrerInnen müssen Leistung als Wissensvermittler erbringen, die Kinder müssen dies kapieren. Das belastet die LehrerInnen über alle Maßen. Und leider verlassen dann gerade viele motivierte LehrerInnen den Beruf – das konnte ich viel in Großbritannien beobachten. 

Ich bin aus all diesen Beobachtungen der Überzeugung, dass ein Kind mit dem/der LehrerIn zusammen die Lernziele mit festlegen muss. Das Kind muss sich einbringen und von sich aus die von ihm mit festgelegten Ziele erreichen wollen. Schafft es dann das Ziel nicht ganz, ist es nicht schlimm, weil es sich bemüht hat und 100 Prozent gegeben hat. Dieses Bemühen, genauso wie das Ergebnis, muss bewertet und benotet werden. Nicht nur das Gelingen. Der Weg muss belohnt werden, und nicht nur das Erreichen des Ziels. So gibt der/die SchülerIn nicht auf, weil er weiß, dass er sein Bestes gegeben hat. Er kann sich dann neue Ziele setzen. So baut er mit an seinem Erfolg. 

Ortgies: Also sollten kleine Ziele gesetzt werden – und eigenver­antwortliches Lernen von LehrerInnen durchgeführt werden. 

Obama: LehrerInnen müssen anders ausgebildet werden und Kinder anders motiviert. Die LehrerInnen müssen lernen, mit den Kindern zusammen Lernziele zu formulieren und festzulegen. Es muss ein Zusammensein und nicht ein Gegeneinander, oder ein von Angst vor Versagen geprägtes Verhalten sein. 

Ortgies: Aber die LehrerInnen in Deutschland müssen ja bestimmte Vorgaben der Lehrpläne erfüllen, auch wenn sie vielleicht etwas anders umsetzen möchten. Sie sind dann frustriert, die Kinder unheimlich erschöpft und gefrustet – das ist der Befund. Und die LehrerInnen verstehen sich auch eher als Lernbegleiter und müssen im Hintergrund sein.  

Lehrer und Schüler als Team

Obama: LehrerInnen müssen innerhalb eines Lehrplans die Milestones setzen. Diese müssen vorher zusammen mit den Kindern erarbeitet werden. So wissen beide, was erreicht werden muss. Das alles kostet natürlich Zeit, Zeit auch für Vorgespräche mit den Eltern. Deshalb müssen eben mehr LehrerInnen angestellt werden, um so ein Modell umsetzen zu können. Das Kind muss genau angesehen werden, seine Fähigkeiten in Attitude-Tests erforscht werden. Es muss alles für das Kind geeignet sein, und dies muss im Gespräch mit den Kindern und auch mit den Eltern vorher geklärt werden. Wir müssen die Kinder näher kennenlernen, genau he­rausfinden, wer sie sind, was sie können und was sie brauchen – das muss die Basis für das Lernen sein. 

Schule: Das ist ganz schön visionär.

Obama: Aber es ist möglich, es muss möglich sein! Denn die Kinder sind unser wertvollster Schatz; unsere Zukunft. Ohne sie ist eine gesellschaftliche Entwicklung unmöglich. Ihre Erziehung, die Qualität ihre Bildung bestimmt die Qualität der Gesellschaft.

Qualität der Bildung bestimmt die Qualität der Gesellschaft

Ortgies: Das ist aber ohne eine politische Veränderung der Verhältnisse nicht möglich. Wenn der Verteidigungshaushalt so hoch ist und keine Umverteilung zugunsten der Bildung stattfindet, klappt das doch alles nicht.

Obama: Genau! Wir müssen als mündige Bürger das einklagen. Bei Wahlen die unterstützen, die sich für eine andere Bildungspolitik einsetzen. Unsere Kinder müssen mit einer Gesellschaft klarkommen, die wir Erwachsenen zu verantworten haben. Es geht um die Verteidigung der Menschen, des menschenwürdigen Lebens. Das ist der Maßstab für Erziehung, egal ob in Europa oder Afrika. 

Foto Elle Pouchet

Deshalb habe ich bei meiner Stiftung in Kenia ein Lernzentrum gebaut für Kinder zwischen 4 und 12 Jahren. Wir versuchen dort umzusetzen, dass beim Lernen alle Sinne mit bedacht werden. Das machen wir in drei verschiedenen Sprachen – die Muttersprache, Luo; Kiswahili und English (offizielle Landesprachen).Damit zeigen wir, dass Intelligenz nicht, in erster Linie, eine Sache der Sprache ist. Intelligenz ist universal und hat mehr mit Wissen zu tun. Und wir stellen dieses Wissen, das über die menschlichen Sinne erfasst und erarbeitet werden kann, in den Vordergrund. Es kann dann in irgendeiner Sprache – egal welcher – zum Ausdruck gebracht werden.

Ortgies: Das ist generell so – der Wissensstoff ist viel zu umfangreich. Was für ein Irrsinn, dass Millionen jedes Jahr in Nachhilfestunden investiert werden. 

Veränderung beginnt auch zu Hause

Obama: Bei all dem müssen wir uns vor Augen halten, dass eine Veränderung der Gesellschaft zu Hause in den eigenen vier Wänden anfängt – Kinder müssen ein Gefühl bekommen für das, was richtig und was falsch ist. 

Schule: Joschka Fischer hat gesagt: „Nachhaltigkeit ist es, wenn du den Ast nicht absägst, auf dem du sitzt.“ 

Obama: So ist es. Unsere Kinder werden auf jeden Fall das Richtige tun, wenn sie diese Basis in der Familie haben.

Interview: Christian Personn/ Axel Kuhlmann

Das ganze Interview könnt Ihr auch in unserem Magazin lesen, gedruckt oder als digitales Magazin (E-Paper), hier erhältlich.