Digitalisierung an Schulen: Was sind die Herausforderungen?

Wie wichtig die Digitalisierung an Schulen ist, hat uns spätestens die Corona-Krise gelehrt. Dass wir damit noch lange nicht weit genug sind, auch. Vor welchen Herausforderungen stehen wir noch?

Digitales Lernen birgt Herausforderungen – nicht nur für die Schüler. Foto: Getty Images

Die Versäumnisse, die PISA schon kannte, hat spätestens das Homeschooling in der Pandemie spürbar gemacht: Deutschland ist in Sachen digitale Schule weit abgeschlagen. Einem EU-Bildungsbericht zufolge besuchen nur neun Prozent aller Schülerinnen und Schüler eine digital gut ausgestattete und vernetzte Schule mit Hard- und Lernsoftware – das sind 26 Prozentpunkte weniger als der OECD-Durchschnitt. Zudem besitzt nur ein Drittel der Schüler einfachste IT-Kenntnisse.

„An vielen Schulen fehlen die grundlegende Infrastruktur, eine ausreichende Verkabelung, WLAN und ein schneller Internetanschluss. Lehrkräfte an diesen Schulen haben es schwer, Übung in digitaler Arbeit zu bekommen“, weiß Lernplattform-Unternehmer Johannes Stanggassinger. Und die Problematik setzt sich im Homeschooling fort: In den USA arbeiten fast drei Viertel der Schüler im Fernunterricht mit gängigen Videotools wie „Microsoft Teams“ oder „Zoom“, bei uns bisher nur 41 Prozent. Wenn digitales Lernen jedoch bedeutet, bloß Aufgaben per E-Mail nach Hause geschickt zu bekommen, ist das Ziel verfehlt. Damit die Schüler sich beim Heimlernen nicht alleine gelassen fühlen, bleibt also jede Menge zu tun.

„DigitalPakt Schule“: Geld ist da, es wird nur nicht abgerufen

Immerhin gibt es nun Zeichen für eine Wende: Der bisher nur zögerlich anlaufende „DigitalPakt Schule“ bis 2024 wurde vom Bund jüngst auf sieben Milliarden Euro aufgestockt. Das Geld dient unter anderem dem Ausbau des WLAN und pädagogischer Schulserver sowie der Anschaffung von Laptops, Smartboards und Software. Zudem sollen mit den Fördermitteln Schüler ohne eigenen PC mit einem Leihgerät ausgestattet und fortlaufende Kosten wie Wartung und IT-Kräfte gedeckt werden. 

Allerdings haben die Bundesländer, die hierzulande die alleinige Hoheit über die Schulen haben, erst die im Vergleich winzige Menge von 20 Millionen Euro aus dem Programm abgerufen. Ein Grund dafür ist, dass es den Schulen an Zeit und Personal mangelt, die für die Antragsstellung nötigen Medienkonzepte zu entwickeln. Zudem sind die Lehrkräfte mit den Anträgen möglicherweise schlicht überfordert: Bildungsexperten beklagen seit Langem, dass Pädagogen in Deutschland zu wenig in Sachen Digitalisierung weitergebildet werden. Und die Erstellung der digitalen Inhalte hinkt dem Ausbau der Infrastruktur sogar noch hinterher. Doch ohne geeignete Digitalkonzepte endet Fernunterricht im Chaos – und das Geld aus dem Bildungspakt bleibt unangetastet.

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Homeschooling verschärft die soziale Ungleichheit

Auch ist in der Corona-Krise noch einmal deutlich geworden, wie wichtig gemeinsames Lernen im Klassenzimmer für die Persönlichkeits- und Sprachentwicklung der Kinder ist. Das Fehlen der sozialen Komponente hat sich im Distanzunterricht deutlich bemerkbar gemacht. Darüber hinaus erschweren es die coronabedingten Schulschließungen Lehrern, sich ein Bild vom Lernstand der Klassen zu machen. 

Eine aktuelle Studie der Fernuniversität Hagen bestätigt, dass die Benachteiligung sozial schwächerer Schüler im Fernunterricht auf das Drei- bis Fünffache angestiegen ist. Nur 35 Prozent der Lehrer standen mit ihren Schülerinnen und Schülern in digitalem Kontakt, zehn Prozent jedoch gar nicht bis wenig. Aufgrund dieser Schwierigkeiten beim Homeschooling spielt die Unterstützung der Erwachsenen eine entscheidende Rolle. Allerdings sprechen viele Eltern zu Hause kein Deutsch. Zudem haben etliche Kinder kein eigenes Zimmer als Rückzugsort zum Lernen, keinen Laptop zu ihrer eigenen Verfügung und manchmal nicht einmal funktionierendes WLAN. Das verstärkt das soziale Ungleichgewicht. 

Digitalisierung an Schulen in anderen Ländern

Auf der anderen Seite reizen die wenigsten Schulen in Deutschland die Möglichkeiten der digitalen Zusammenarbeit aus. Interaktive Tests, virtuelle Klassenzimmer oder cloudbasierte Schulverwaltungssysteme, wie sie in den USA oder Tschechien gängig sind, bilden an deutschen Schulen noch die Ausnahme. Auch aus Norwegen, wo Kinder bereits ab der ersten Klasse im digitalen Dialog stehen, können wir viel lernen. 

Dabei stehen attraktive und funktionierende Programme bereits zur Verfügung. Einfach zu bedienende Online-Lernplattformen wie „Kahoot!“ setzen zum Beispiel auf spielerische Interaktion in Form von Quizfragen zwischen Lehrern und Schülern. Über die Lernplattform „Lesemeister“ stehen über 10.000 Bücher zum Lesen und Hören zur Verfügung, bereits 250.000 norwegische Schüler nutzen die lösungswegorientierte Mathe-App „Kikora“. Für kranke Kinder drückt der von zu Hause virtuell steuerbare Roboter „AV1“ live die Schulbank. 

Online-Lernen funktioniert anders

Neben der Technik ist auch die Arbeit damit herausfordernd. Erfahrungen aus dem Online-Studium an der Erfurter Hochschule IUBH zeigen: Kommunikation am Bildschirm läuft anders als beim sozialen Lernen im Präsenzunterricht. Für die Motivation im virtuellen Modus müssen daher Unterrichtsformen und Didaktik angepasst werden. Experten empfehlen flexibles Wechseln zwischen On- und Offline – am besten per Smartphone oder Tablet. Online gestellte Aufgaben können analog bearbeitet, abfotografiert und versendet werden, während mit Video- und Chat-Tools an der Klassengemeinschaft teilgenommen werden kann. 

Damit solche Technologien pädagogisch sinnvoll genutzt werden, müssen die Lehrkräfte fortgebildet werden. Nach einer von der Vodafone Stiftung beauftragten Studie der Universität Paderborn ist das besonders erfolgreich, wenn die technische Ausstattung und Fortbildung des Lehrer-Kollegiums sowie der reflektierte Einsatz digitaler Medien Hand in Hand gehen. Über ihre Eigeninitiative hinaus müssen Lehrkräfte viel praxisorientierter und zielgerichteter darin unterstützt werden, die digitalen Technologien fächerbezogen und zur Förderung aller Schüler einzusetzen. Eine Idee dafür: ein fester Homeschooling-Tag in der Woche, an dem Lernplattformen, Medienkonzepte und technische Voraussetzungen ausprobiert und trainiert werden. 

Unser Experte

Johannes Stanggassinger

ist Entwickler und Gründer des Schulverwaltungstools „Schulmanager online“. Mehr Infos unter: schulmanager-online.de

Schulen digital verwalten

Immer weiter voran schreitet immerhin ein anderer Bereich der Digitalisierung unserer Schulen: die Verwaltung. Viele Einrichtungen haben bereits Portale eingerichtet, über die der Austausch zwischen den Lehrkräften sowie mit den Eltern, oft aber auch die Online-Zusammenarbeit zwischen Lehrkräften und Schülern stattfinden kann. Über 750 Schulen in Deutschland arbeiten zum Beispiel mit der Plattform „Schulmanager Online“ des Münchner Gründers Johannes Stanggassinger. Das Verwaltungstool führt virtuellen Unterricht, Kommunikation und Organisationsaufgaben vereinfacht zusammen. „Lernmanagementsysteme erlauben es, unkompliziert Lernmaterial zu verteilen und Schülern individuelle Rückmeldungen zu geben“, erklärt Stanggassinger. Die Plattform helfe somit Lehrkräften dabei, Zeit zu sparen und sich mehr auf ihr „Kerngeschäft Unterricht“ zu konzentrieren. Eine wichtige Forderung des Experten dabei: Schulen sollten externe Systemadministratoren zur Verfügung stehen, da nicht erwartet werden könne, dass Lehrkräfte IT-Aufgaben nebenbei erledigen.

Einmal eingerichtet, ermöglichen Schulmanagementsysteme ganz neue Unterrichtsmethoden wie den sogenannten „Flipped Classroom“, erklärt Stanggassinger: Hierbei erfolgt anders als sonst der „Input digital zu Hause per Video oder Text, und geübt wird in der Schule, wo die Lehrkraft bei Problemen jederzeit weiterhelfen kann“. Darüber hinaus können onlinebasierte Diagnosetools wie „quop“ Lehrern dabei helfen, Defizite aufzuspüren und die Lernleistung einzelner Schüler gezielt zu verbessern. Für die Zukunft der Digitalisierung ist dem Unternehmer wichtig, „dass alle Schulen – auch die kleine Dorf-Grundschule – eine gute Infrastruktur bekommen, die nicht von Lehrkräften, sondern extern verwaltet wird. Corona hat da an manchen Stellen die bürokratischen Mühlen beschleunigt, dennoch wird es wohl noch ein paar Jahre dauern.“

Auch Sascha Lekic, Director IT & Mobile bei Samsung Electronics, betont, dass „zeitgemäße digitale Bildung eine Grundvoraussetzung für gesellschaftliche Teilhabe und die Zukunftsfähigkeit Deutschlands“ sei. Für die Beschleunigung des Digitalisierungsprozesses fordert er eine zentrale Richtlinie für die technische Beschaffung, die auf Systemoffenheit, Interoperabilität und Langfristigkeit Im „Flipped Classroom“ eignen sich die Schüler neuen Lernstoff eigenständig zu Hause an. In der Schule wird dann geübt – unter Aufsicht und Mithilfe der Lehrkraft beruht. Die Zukunft der Schule sieht auch Lekic im Wechsel- oder Hybridunterricht – für dessen Optimierung es noch weitere Hausaufgaben zu erledigen gelte. 

Auch wenn es hier und da noch hapert und verbindliche Distanz-Lernkonzepte fehlen: Deutschland ist geweckt und mit innovativen Ideen auf einem ambitionierten Weg in eine chancengerechte digitale Zukunft des Lernens. Stanggassingers Appell an Schüler, Lehrer und Eltern: „Nicht warten, bis etwas von ‚oben‘ kommt. Gestalten Sie selbst und fangen Sie jetzt damit an!“

Portrait Antonia Müller
Antonia Müller

Unsere Autorin

Antonia Müller

Schon als Schülerin hat Antonia Müller Bücher verschlungen, Theater gespielt, Geschichten geschrieben und Hörspiele vertont. Auf Germanistikstudium und Textschmiede folgten Redaktionsjobs für Internet, TV und Verlage.

Zwölf Jahre Kreation von erfolgreichen Ideen und Texten in der Werbung runden ihr Profil als Story Teller ab. Für Junior Medien schreibt sie heute Wissenswertes über Familie, Kind und Kegel. Was noch fehlt, ist ihre erste Romanveröffentlichung.