„Fridays for Future“: Die Schulpflicht einfach ignorieren?

Zusammen streikt es sich besser als allein! Aber muss ausgerechnet mein Kind dabei sein? Da sind viele Eltern im Zweifel. Was sicher ist: Die "Fridays for Future"-Bewegung mobilisiert so viele Jugendliche wie nie eine andere vor ihr.

Foto: Getty Images/Florian Gärtner

Seit über einem Jahr gehen in unseren Städten zahllose Teenager jeden Freitag auf die Straße, um gegen die Klimapolitik bei uns und in anderen Teilen der Welt zu demonstrieren. Daneben protestieren sie weltweit vernetzt in den sozialen Netzwerken. In der Shell-Jugendstudie sind die Ursachen für das konsequente Streikverhalten zu lesen: Es geht den Jugendlichen bei den Demos nicht nur darum, die aus ihrer Sicht unzureichenden Maßnahmen zum Schutz unseres Klimas zu kritisieren. Es geht ihnen auch um das fehlende Vertrauen in die Vertreter von Politik und Wirtschaft. Sie fühlen sich mit ihren Sorgen um die Zukunft nicht ernst genommen. 

So weit, so gut. „Doch wie sollen wir damit umgehen, wenn unser eigenes Kind mit auf die Straße gehen will?“, fragen sich viele betroffene Eltern. „Das geschieht doch während der Unterrichtszeit!“. Unsere Politiker äußern sich auch nicht eindeutig dazu, ob wir die Jugend für die Streiks loben oder tadeln sollen. Betroffene Eltern und Schüler müssen selbst mit dem Thema klarkommen.
Viele Eltern fühlen sich mit diesem Thema überfordert. Als ob Liebeskummer und Schulprobleme in der Pubertät nicht schon genug wären! Die erfolgreiche Bewegung „Fridays for Future“ macht es der Schule und den Eltern wahrlich nicht leicht.
Hilfreich für eine Klärung könnte es sein, erst einmal selbst und dann gemeinsam mit deinem Kind auf das Thema zu schauen.

Schulpflicht und Engagement: Gewissensfragen für die Eltern

  • Könnt ihr es als Eltern verantworten, dass euer Kind und damit auch ihr einen Regelverstoß gegen das Schulrecht begeht? Ist dieser vielleicht gleichzusetzen mit häufigem Fernbleiben vom Unterricht am letzten Schultag vor Ferienbeginn, um einen günstigeren Flug nach Kanada zu bekommen?
  • Vielleicht denkt ihr auch an eure pädagogische Verantwortung: „Sind wir Laissez-faire-Eltern, wenn wir das Streiken unseres Kindes als mutige Maßnahme begrüßen? Ist es vielleicht auch ein Zeichen unserer erzieherischen Schwäche, wenn wir nicht auf die Einhaltung der Schulpflicht achten?“
  • Schließlich mögen sich manche Eltern auch fragen: „Schadet es unserem Ruf als Familie, wenn wir das Streiken zulassen? Könnten Lehrkräfte dies missbilligen oder gar unserem Kind Schwänzen vorwerfen?“

Der Umgang mit all diesen Fragen hängt natürlich sehr davon ab, wie die Schule eures Kindes zu den Schülerprotesten steht. Schulen in den einzelnen Bundesländern, ja manchmal sogar in ein und derselben Stadt, haben sehr unterschiedliche Strategien in Sachen erlaubtes Fehlen: Das reicht von ernsten Gesprächen mit den betroffenen Schülern über den Nachweis der unentschuldigten Stunden im Zeugnis oder Ordnungsmaßnahmen wie schriftliche Verweisen, die am Ende des Schuljahres wieder aus der Schülerakte gelöscht werden, bis hin zu klaren Bußgeldandrohungen.

Solltet ihr als Eltern aus welchen Gründen auch immer die Teilnahme an den Demonstrationen während der Schulzeit verbieten, könnt ihr eurem Kind empfehlen, sich außerhalb der Schulzeit für den Klimaschutz zu engagieren, etwa bei Aktionen zum Artenschutz oder bei der jährlichen Baumpflanzaktion der Schule.

Schüler streiken: Gewissensfragen für das Kind

Geht nun einmal gedanklich zu eurem Kind: Was bedeuten die Demonstrationen eigentlich für die Jugendlichen? Schließlich ist ein Schülerstreik für einen sinnvollen Zweck nicht einfach gleichzusetzen mit Schuleschwänzen. Es ist vielleicht wichtig für eure Tochter oder euren Sohn, sich offen zum „Klimakampf“ zu bekennen und auch schimpfende Zuschauer auf der Straße in Kauf zu nehmen. Dazu gehört eine Menge Mut. Wenn ihr als Eltern eurem Kind die Teilnahme an „Fridays for Future“ unter bestimmten Umständen ermöglichen möchtet, könnten weitere Fragen zur Klärung beitragen:

  • „Warum möchtest du streiken?“ Es genügt nicht, wenn euer Kind sagt, es wolle etwas fürs Klima tun, oder einfach wieder das bekannte AADDA als Druckmitteln einsetzt: „Alle anderen dürfen das aber!“
  • „Wie stellst du dir konkret die Teilnahme an den Demos vor?“, könnt ihr fragen und euer Kind damit in dei Verantwortung nehmen. Es wird vielleicht überlegen, ob es sich von seinen Noten her leisten kann, freitags die Straße gegen das Klassenzimmer einzutauschen. Vielleicht kommt es zu der Lösung, dass es gar nicht jeden Freitag dabei sein und nur ab und zu bei einer Großdemonstration wie dem „Earth Strike“ mitmachen will, weil es sich davon mehr Aufmerksamkeit in den Medien verspricht.
  • Auch wenn euer Kind nicht besonders leistungsstark in der Schule ist, könnte die Teilnahme an der einen oder anderen Demonstration einen Ansporn bedeuten: „Ich darf etwas ganz Sinnvolles tun“, mag es denken, wenn es sich sonst für schulische Belange nur schwer motivieren lässt. Es gibt durchaus Schüler, die , wenn sie sich einer spannenden Herausforderung stellen dürfen, plötzlich auch die täglichen Pflichten besser meistern.
  • Die meisten volljährigen Schüler können die Risiken des Streikens mit ihren Lehrern besprechen, um einschätzen zu können: „Meine acht Punkte in Chemie sind auch sicher, wenn ich ab und zu fehle und nacharbeite.“
  • „Sind Lehrkräfte oder Eltern dabei?“ Bei der Frage der Fürsorge kann euer Kind mitdenken und dabei eure Bedenken besser verstehen. Ist es minderjährig, sollte es auf bei dem Streik gut beaufsichtigt werden. Zahlreiche Eltern hat diese Frage schon auf den Gedanken gebracht, mitzudemonstrieren, falls es die Zeit erlaubt.

Ob ihr eurem Kind nun erlaubt zu streiken oder es verbietet oder ob ihr gar selbst für seine Zukunft mit auf der Straße streiken geht: Das Wichtigste ist, dass ihr eure Tochter oder euren Sohn mit dem Wunsch, bei „Fridays for Future“ dabei zu sein, ernst nehmt. Zeigt Verständnis, wenn euer Kind ist, etwa über aktuelle Entscheidungen in der Politik. Gerade junge Menschen sind oft enttäuscht, wenn sich ein Anliegen nicht so einfach umsetzen lässt. Euer Kind wird euch dann als Eltern erleben, die nicht sofort den Zeigefinger erheben oder das Schulrecht bemühen. Es kann sich euch mit seinen Wünschen und Sorgen anvertrauen. Es versteht, warum ihr die Verantwortung tragt, und erlebt, dass ihr es euch mit eurer Entscheidung nicht leicht macht.

Autorin: B. Wonneberger